Einsatz von Videokonferenzen, Lern- und Erklärvideos, 3D-Druck und Lernplattformen sind am Beruflichen Schulzentrum Odenwaldkreis nicht erst seit der Coronakrise Standard

Was haben ein Berufliches Schulzentrum und die Digitalisierung gemeinsam? Sicher, wer von Haus aus junge Menge auf das breite Spektrum und die damit verbundenen spezifischen Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt vorbereitet, muss sich daran messen lassen, mit dem stets aktuellen Stand des technischen Fortschritts mitzuhalten. Im Fall des Beruflichen Schulzentrums Odenwaldkreis (BSO) in Michelstadt zeichnet sich bei genauer Betrachtung eine Vielfalt an Anwendungs- und Einsatzmöglichkeiten ab.

Auf vielen Wegen unterwegs in die Welt der digitalen Bildung

An keinem anderen Schulstandort ist die Bandbreite so groß: Am BSO werden rund 1000 Vollzeit- (Berufliches Gymnasium und vom Hauptschulabschluss bis hin zur Allgemeinen Hochschulreife und zur beruflichen Weiterbildung mit Fachschulabschluss) und 650 Teilzeitschüler (Berufsschule in zehn Berufsfeldern und 38 Ausbildungsberufen) auf verschiedenen Wegen ausgebildet beziehungsweise für universitäre und Hochschulstudiengänge qualifiziert. Hinzu kommen 300 Mittelstufenschülerinnen und -schüler, die einmal in der Woche von ihren Standortschulen in Michelstadt (Theodor-Litt-Schule) und Otzberg-Lengfeld (Otzbergschule) für einen Praxistag an das BSO wechseln. „Digitalisierung ist nicht nur allgegenwärtig, sondern ebenso breit aufgestellt und in seinen Einsatzmöglichkeiten flexibel, wie das Schulangebot selbst“, macht Schulleiter und Geschäftsführer der AÖR, Oberstudiendirektor Wilfried Schulz, deutlich, dass am BSO auf digitalem Weg Lehr- und Lerntechniken zum Einsatz kommen, lange bevor die Pandemiebedingungen Schulen zum Handeln gezwungen haben, Alternativen zum Präsenzunterricht zu entwickeln.

So richtig an Fahrt aufgenommen hat das Thema im Dezember 2019 mit einem Inputvortrag, den Peter Holnick vom Institut für Medienpädagogik und Kommunikation/Landesfilmdienst Hessen zum Thema „Bildung in der digitalen Welt – die Veränderung unserer Kommunikation durch digitale Medien“ am Campus gehalten hat. Daraus erwachsen ist Anfang Februar der Pädagogische Tag, an dem die 135 Lehrerinnen und Lehrer, Sozialpädagogen und alle Assistenzkräfte der Schule teilgenommen haben. In 13 Workshops haben sie sich vom Fremdsprachenunterricht über neue Medien bis zur digitalen Unterrichtsorganisation mit „One Note“, vom kollaborativen Arbeiten mit Schülern in „Moodle“ bis zum Lern- und Erklärvideo vertraut gemacht. Zu kurz kamen auch nicht Themen Wie „Hass und Hetze im Netz“ und Virtuelle Realitäten.

Stichwort Erklärvideo:

Mario Steinbach ist Lehrer im fachpraktischen Unterricht in den holzbearbeitenden Berufen Tischler, Schreiner, Holzbildhauer und Drechsler. Die ersten Produktionen mit dem Erklärvideo-Format „Simple Show“ hat es bereits vor Corona gegeben. „Diese Erfahrungen kamen uns sehr zum Vorteil, als zu Beginn der Pandemie die Schulen geschlossen wurden“, sagt der Fachlehrer von der Berufsfachschule Holz und Elfenbein. Die Trickfilmbox, zwei Kameras, eine Action Cam und ein Videoschnittprogramm gehören längst zur Standardausrüstung. Während des Lockdowns sind über 20 Lern- und Erklärvideos entstanden. Sie haben das gängige Arbeitsmaterial nicht nur ersetzen können, sondern werden auch über die Zeit der Schulschließung hinaus ihren festen Platz im Unterricht einnehmen, zieht der Pädagoge eine positive Bilanz. Schüler können sich über eines der beiden an der Schule implementierten Managementsysteme einloggen und sich damit besser auf den Unterricht vorbereiten. Der Videoeinsatz dient der Unterstützung und nicht wenige Schüler erarbeiten sich über diesen Weg den für sie passenden Zugang zu den Lerninhalten.

Auch für Kevin Sommer ist in den Klassen Tischler, Holzbildhauer, Elfenbeinschnitzer und Drechsler der Unterricht mit digitalen Werkzeugen nichts Neues. Um Objekte zu zeichnen, entwerfen und zu entwickeln, wird mit computergestützten Designsystemen gearbeitet. Es folgt, wie in der Industrie, der Einsatz der CNC-Fräse. „Wir arbeiten verstärkt auch mit additiven Fertigungsmethoden, was umgangssprachlich als 3D-Druck bezeichnet wird“, stellt der Pädagoge vor, dass die Schule mit Industrie 4.0 mithalten kann. „Smart Factory“, worunter zu verstehen ist, dass Maschinen untereinander in Fertigungsprozessen kommunizieren und Service-Roboter miteinander kooperieren, ist auch in der Schule angekommen. Zu Coronazeiten haben Schüler der Berufsfachschule Holz und Elfenbein darüber beispielsweise ein Brettspiel hergestellt, ausschließlich auf virtuellem Weg.

Seit drei Jahren haben Schüler der Michelstädter Fachschule für Holz und Elfenbein die Möglichkeit, gleichzeitig ein Studium in Produktgestaltung an der Brüder-Grimm-Berufsakademie in Hanau zu absolvieren. Für Studienrätin Kerstin Jennrich gehört es zum Alltag, Schüler mit Unterrichtsmaterial und Bilder per E-Mail Chat zu versorgen. In der Coronazeit war dies nicht anders. Dazu stellt sie fest: „Während der Krise gereichte es uns zum Vorteil, dass die Studierenden dabei viel über Fotografieren gelernt hatten, zum Beispiel Details und Perspektiven darzustellen.“ Auf diesen Erfahrungen möchte sie aufbauen und den virtuellen Austausch weiterentwickeln.

Schule in Zeiten von Corona:

In seiner über 20jährigen Erfahrungen in Leitungsposition hat Schulleiter Wilfried Schulz keine vergleichbare Situation erlebt. „Zuerst absoluter Stillstand, dann hat alles an Tempo zugelegt“, fasst er die Wochen und Monate zusammen, in denen das Schulzentrum Dank Digitalisierung Homeschooling in die Tat umgesetzt hat. „Am Anfang haben etliche Kolleginnen und Kollegen verschiedene Tools ausprobiert, um den Austausch untereinander und mit den Schülerinnen und Schülern auf stabile Beine zu stellen. Mein Job war es besonders, mich um grundlegende Strukturen mit Blick auf den Datenschutz und um Lizenzrechte zu kümmern“, sagt er rückblickend. Zunächst galt es, über gängige digitale Wege wie Email und Messengerdienste stabile Kontakte mit Schülerinnen und Schülern einzurichten und Ausbildungsbetriebe auf dem Laufenden zu halten. Die vorhandenen Daten- und Datenbanken waren für die direkte schnelle Kommunikation über die technischen Medien nicht ausreichend vorbereitet. Besonders für Videokonferenzen und -übertragungen kam „Moodle“ zum Einsatz, ein freies objektorientiertes Kursmanagementsystem und eine Lernplattform. Die Software bietet ferner Möglichkeiten zur Unterstützung kooperativer Lehr- und Lernmethoden und zur Durchführung von Webinaren.

Als Standardsoftware hat sich an der Schule „Microsoft Teams“ etabliert. Lehrerinnen und Lehrer schätzen die einfache Bedienbarkeit und Vielfalt der Plattform, die Chat, Besprechungen, Notizen und Anhänge miteinander kombiniert. Da der Dienst in der Office-365-Office-Suite mit Microsoft Office integriert ist, ist vieles selbsterklärend. Der Austausch darüber wird fortgesetzt, wie Oberstudienrätin Sebnem Maier (unterrichtet Wirtschaft und Verwaltung) und Sandra Bork, Fachlehrerin für Bürotechnik, übereinstimmend berichten. Als sich abzeichnete, dass der Unterricht für längere Zeit nur noch virtuell wird stattfinden können, wurde rasch deutlich, dass Schüler, die nur über ein Smartphone verfügen oder keine stabilen Internetverbindungen haben, nicht oder nur schwer mithalten können. Im großen Stil mussten zudem Email-Accounts als Schulzugänge zu Microsoft Teams angelegt werden. „Dadurch, dass ich Word und PowerPoint unterrichte, gab es dabei keine Probleme. Die Schüler konnten zuschauen, wie es funktioniert und direkt nachfragen“, sieht Sandra Bork vor, dass auch künftig, Schüler, die nicht zum Unterricht kommen können, sich virtuell zuschalten können.

„Teams“ nutzt über den Lockdown hinaus auch Gabriele Schulz, die als Klassenlehrerin der Medizinischen Fachangestellten den Ausbildungsbetrieben ihr ausdrückliches Lob ausspricht. Als für den Onlineunterricht feste Zeiten unabdingbar wurden, stellten die Arztpraxen ihre Auszubildenden hierfür frei und statteten sie bei Bedarf auch mit den erforderlichen Endgeräten aus. Oberstudienrätin Silke Klar vom Fachbereich Elektro/Mathematik blickt auf unterschiedliche Erfahrungen zurück: „In Vollzeitklassen in der Berufsfachschule war es schwieriger, die jungen Menschen zu motivieren. Da half nur eine wiederholte Aufforderung per Email oder das Gespräch mit dem Klassenlehrer oder den Eltern.“ Vorgekommen sei es aber auch, dass einfach das Netz nicht ausreichte, um ohne Unterbrechungen am Video-Chat teilnehmen zu können. Jedenfalls theoretisch ist einiges machbar, stellt sie fest: „Ein kompletter Unterricht wird schon länger auf Moodle abgebildet“. Und auf „Microsoft Teams“ können Schüler auch eigene Gruppen anlegen und darüber ihre Teamarbeiten erledigen. Kleine Video-Tutorials können eingestellt werden.

Auch wenn längst nicht alle Schüler es geschafft haben, beständig von Zuhause aus mitzuarbeiten, hat Fachlehrerin Ute Horn (Elektrobereich) sich besonders über ein Ergebnis sich freuen können. Eine Klassenarbeit in der Klasse, die schon im ersten Lehrjahr digital gearbeitet hat, war so gut ausgefallen wie noch nie zuvor. Der Austausch sei besonders intensiv vor Prüfungen gewesen, berichtet sie. Gefehlt habe vielen der persönliche Kontakt aber dann doch. „Viele haben gefragt, wann es wieder richtigen Unterricht geben wird.“

 

Für Firat S. aus Beerfelden, der eine Ausbildung zum Fremdsprachensekretär absolviert, war die Coronazeit zu Beginn sehr anstrengend und mit vielen schlaflosen Nächten verbunden. Die Lehrer seien gut vorbereitet gewesen und über „Teams“ sei alles nach und nach besser gelaufen. „Ich bin sehr dafür, dass im Unterricht mehr digital gearbeitet wird“, sagt der angehende Kaufmann. Auch Aron Sander (20) aus Schöllenbach hat festgestellt, dass digitaler Unterricht viel Eigenverantwortung und Motivation abverlangt. Er ist Auszubildender in Mechatronik. Den Unterricht vor Ort findet er daher besser.

Bernd Vaupel (Lehrkraft im Fachbereich Elektrotechnik) blickt auf die schwere Zeit mit gemischten Gefühlen zurück. Einerseits habe sie die Chancen beschleunigt, um Material für Lehrkräfte und Schüler anzuschaffen. Dieses optimal einzusetzen, erfordere Schulung und Bereitschaft zur Eigenverantwortung. „Für die Zukunft spielt die Verfügbarkeit eine sehr wichtige Rolle“, sagt er und richtet den Appell an die Politik, den Digitalpakt zügig umzusetzen.

Madzid Hambiralovic unterrichtet am Beruflichen Gymnasium und hat mit Erklärvideos gute Erfahrungen gemacht. Vorausgesetzt, alle Schüler sind mit entsprechenden Endgeräten ausgestattet, müssten digitale Hausaufgaben zum Regelfall werden. „Schüler können sich nicht mehr herausreden, sie seien krank gewesen und hätten sich die Aufgaben nicht besorgen können“, sei dann vorbei. Insgesamt sei digitales Arbeiten nicht nur transparenter für Lehrkraft, sondern auch gerechter für die Leistungsbewertung. Digitalisierung als Hilfsmittel zum selbstorganisierten Lernen? Auch Studienrätin Julia Becker, die Wirtschaft und Mathematik am Beruflichen Gymnasium und in kaufmännischen Berufsschulklassen unterrichtet, findet: „Die Kommunikation hat sich sehr verbessert. Die Schüler sind eher dazu bereit, den Lehrer zu kontaktieren und sich über ‚Teams‘ Informationen zu besorgen, wenn etwas vergessen wurde oder unklar war.“ Schüler, die es verstanden haben, nutzten jetzt ausschließlich die Hausaufgabenfunktion.

Dem kann auch Lenhard Weber (18) aus Groß-Umstadt etwas Positives abgewinnen. Persönlich bevorzugt er Arbeitsmaterialien in Papierform, gewinnt der digitalisierten Version aber immer mehr ab. „Wir lernen viel über Präsentationen, die man digital im Nachhinein noch mal ansehen kann. In dem Maße, wie es bei uns läuft, finde es ganz gut“, sagt er.

 

Als Fazit stellt Schulleiter Wilfried Schulz fest: „Sicherlich sind wir erst auf einem digitalen Lernprozess, aber es ist ausgesprochen erfreulich, wie sich Lehrkräfte und Lernende unter schwierigen Bedingungen auf einen guten und spannenden Weg gemacht haben. Diese Erfahrungen gilt es jetzt für eine nachhaltige Lernstruktur auch in der Breite zu nutzen.“

 

Text: Manfred Giebenhain
Foto: BSO
Beitrag: Kevin Sommer am 19.08.2020